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Channel: Günter Maschke – Sezession im Netz
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Dialoge mit H.: Trump, Realität und die „göttliche Linke“

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von Caroline Sommerfeld

Denn Trump, das weiß man ja, verbreitet Lügen, die sich anfühlen wie Wahrheit. Für ihn sind Fakten wie alte Möbel: wenn sie im Weg stehen, kommen sie in die Rumpelkammer. Fakten machen schlechte Laune. Fakten sind unpatriotisch.
(Thomas Assheuer, ZEIT 41, 29.9.2016)

Erst kürzlich beklagte ich in einem Gespräch mit H, daß ich notorisch unfähig wäre, mir Fakten, Statistiken, Studien und Zahlen zu merken. H warf mir ahistorisches Denken vor, das dazu führe, daß ich Theorien aus ihrem historischen Kontext herausrisse und für meine Zwecke hernähme. Und natürlich brachte er den Klassiker unter den Vorwürfen gegen rechts: Irrationalismus, also eine Bedrohung zu sehen, wo doch keine da wäre, und den „Großen Austausch“ bloß „gefühlt“ als Dystopie zu entwerfen, wo dem doch keine Fakten entsprächen. Wahrscheinlich ist der Grund, daß Fakten mir einfach zu unpatriotisch sind.

In der ZEIT überlegt Thomas Assheuer, ob die Rechte sich nun auf diese Weise manipulativ durchsetze: nicht mehr Fakten zählen, sondern nur noch große Gefühle.

Wenn dann alle glauben, es gebe keine Realität mehr, nur noch eine gefühlte Wirklichkeit, dann hat die Rechte freies Feld, und das Spiel läuft nach ihren Regeln

Davon daß „alle“ glauben, es gäbe keine Realität mehr, sind wir gottlob weit entfernt. Assheuers Angt vor Realitätsverlust sollte man nicht für Realität, sondern für ein unaufgearbeitetes Postmoderneproblem der Linken halten. Die Idee der „Postmoderne“ war in den 80er und 90er Jahren sehr verführerisch, denn sie ließ die 68er-Generation getrost weiter Kritik an der Moderne üben, diagnostizierte „das Ende der großen Erzählungen“ (vom autonomen Subjekt, Freiheit, Gott, Fortschritt), bespiegelte sich heiter in „Kulturtrümmern“ und ließ vor allem eines zu: sich völlig wegzubewegen von der Wirklichkeit, die man zusehends für „das freie Spiel der Signifikantenketten“ und „endlose Präzession der Simulakra“ zu halten begann. Den Ästheten (Literaturwissenschaftlern, Philosophen, Architekten, Künstlern) war die Welt zur Kunst geworden, eigentlich etwas, das sie nie gewollt hatten, damals, als alte Materialisten.

Die meisten intellektuellen Linken stehen heute noch genau da, wo sie die Geschichte in den 80er Jahren, spätestens frühen 90er Jahren, abgesetzt hat (und die Jüngeren werden von den Älteren entsprechend sozialisiert). Linkes Denken spannt sich auf zwischen Sozialkritik (gegen „Ausgrenzung“), Hypermoralismus (für das „Menschliche“), Konstruktivismus („Dekonstruktion sozialer Konstruktionen“) und Utopismus („Traum vom friedlichen Zusammenleben“). Dieses weitgespannte geistig-moralische Tätigkeitsfeld ist allerdings in sich ganz furchtbar widersprüchlich. Linke Intellektuelle setzen die Nicht-mehr-Existenz der Realität („alteuropäisches Denken“, Verdikt gegen „modernes Substanzdenken“, „Simulation der Simulation“) voraus.

Sie brauchen Realität allerdings ganz dringend, um moralische Klagen anstimmen zu können:“gegen rechte Lügen“ und die beschworene „gefährliche Filterblase“ der Populisten muß man eine Wirklichkeit aufbieten, mit der verglichen die anderen lügen und manipulieren und verführen. Hätte man die nicht, wäre eh alles egal, ein postmodernes Anything goes der Realitätskonstruktionen von Links und Rechts – das können die Linken nicht zulassen!


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